Liebe, Tod und Fieberkurven: Die Geheimnisse des Bleistifts
Auf dem Zauberberg dient das Schreibgerät zum Aufzeichnen von Fieberkurven, symbolisiert aber auch Liebe und Sexualität
Quelle: Archiv Buddenbrookhaus/ Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum
In einem Roman, der „Der Zauberberg“ heißt, ist es keineswegs überraschend, wenn sich Gegenstände verwandeln und neue Bedeutung annehmen. Etwa ein Bleistift. Thomas Mann macht das schlichte Schreibgerät zu einem Leitmotiv seines Romans, lässt es auf den fast tausend Seiten immer wieder auftauchen.
Mit dem Stift halten die Kranken auf dem Berghof fünf Mal täglich ihre Körpertemperatur fest. Die Werte, die sie auf den Fieberkurven eintragen, steuern ihre Gefühle. Niedrige Temperaturen lassen sie auf Rückkehr in die Heimat hoffen, hohe Werte stoßen sie in Verzweiflung.
Aber in der Höhenluft von Davos ist der Bleistift noch mehr: ein Signal für erotische Annäherungen. Hans Castorp erinnert sich in den Bergen an Pribislav Hippe, einen Schulkameraden mit slawischen Gesichtszügen. Mehr als ein Jahr schwärmt er für den hübschen Jungen, wagt aber nur einmal, ihn anzusprechen: Er bittet Pribislav, ihm für die Zeichenstunde einen Bleistift zu leihen. Der Mitschüler führt ihm darauf vor, wie man den Stift richtig bedient: mittels eines Rings, „den man aufwärts schieben mußte, damit der rotgefärbte Stift aus der Metallhülse wachse“. Ein Phallussymbol also.
Beim Faschingsfest im Sanatorium wiederholt Hans Castorp diese Szene – nur dass die begehrte Person nun eine Frau ist: die Russin Clawdia Chauchat, die dem geliebten Pribislav ähnelt. Sie ermahnt Castorp, ihr den geliehenen Bleistift unbedingt zurückzugeben – was symbolisch noch am selben Abend bei einer Liebesnacht geschieht.
Noch viele Bedeutungen kann ein Bleistift annehmen: So ist er Arbeitsgerät des Schriftstellers und ein Instrument, Vergangenes für immer festzuhalten. Beim Gang durch die Ausstellung werden Sie den vieldeutigen Bleistift nicht übersehen können.