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Hatespeech im Hochgebirge

Hatespeech im Hochgebirge

Worüber der Aufklärer Settembrini und der reaktionäre Jesuit Naphta jahrelang erbittert streiten – bis ein Pistolenschuss ihre Debatten für immer beendet

Morgenstimmung in Davos.

Historische Postkarte aus Davos
Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt / TMA_2264

Man kennt es von Familienfeiern oder aus dem Freundeskreis: Das sind immer zwei, die schon nach wenigen Minuten in erbitterte Diskussionen geraten, die sich immer wieder ineinander verhaken, aber auch nicht voneinander loskommen. 

Ähnliches erlebt Hans Castorp mit seinen beiden intellektuellen Ratgebern Settembrini und Naphta. 

Settembrini ist ein Mann strikter Vernunft. Musik etwa erscheint ihm „politisch verdächtig“, weil sie das Gefühl anspricht und nicht den Verstand. Mit Worten, die er „wie Gummibälle“ springen lässt, kämpft er für Fortschritt, Demokratie und Menschenrechte.     

Naphta, Jude und Jesuit, steht für Mystik und Leidenskult. Er befürwortet den Krieg, weil Kämpfe soldatische Tugenden schärfen und strebt einen totalitären Gottesstaat an. 

In immer neuen Runden attackieren sich die beiden Männer. Hält Settembrini die Arbeit als ein Mittel des Fortschritts hoch, sieht Naphta Arbeit als eine rein asketische Übung ohne materiellen Ertrag. Spricht sich Settembrini gegen die Todesstrafe selbst für Schwerstverbrecher aus, findet Naphta solche Rücksichten auf „Einzelwesen“ läppisch.

Ihre Debatten eskalieren. Manchmal scheint es Hans Castorp, als wenn sie ihre Positionen getauscht hätten – und nicht mehr um der Sache, sondern um des Streites willen streiten. Am Ende fordert Naphta seinen Kontrahenten zum Duell – und tötet sich selbst, nachdem Settembrini sich weigert, auf ihn zu schießen.        

Thomas Mann konnte in der jungen Weimarer Republik beobachten, wie hasserfüllte Sprache zu realen Gewalttaten und politischen Morden führt. Heute radikalisiert sich Sprache in den sozialen Medien, wo es wenig Raum gibt für Zwischentöne und Ambivalenzen – eine Gefahr auch für unsere Demokratie.    

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