Hundert Jahre „Der Zauberberg“
Zweibändige Erstausgabe „Der Zauberberg“
Copyright: Michael Haydn, 2023
Der Weg auf den Zauberberg beginnt mit Halsschmerzen und quälendem Husten. Thomas Mann hat kaum geschlafen, als er sich am Morgen des 9. April 1919 schwer erkältet an seinen Schreibtisch in München setzt. Vor ihm liegt ein etwa 150 Seiten starkes Manuskript, in das er seit mehr als drei Jahren nicht mehr hineingeschaut hat. Der Anfang eines Romans, den er „Der Zauberberg“ nennt.
Als Thomas Mann von Seite zu Seite blättert, wird ihm klar, dass er vieles umschreiben muss. Denn die Zeiten haben sich geändert. Der 1. Weltkrieg, in dem er mit den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ das Wilhelminische Kaiserreich propagandistisch unterstützt hatte, ist verloren. In Berlin herrscht nun eine von Sozialdemokraten geführte Regierung. In Bayern hingegen versuchen in diesen Wochen linke Gruppen, eine Räterepublik nach sowjetischem Vorbild einzuführen. In der Münchner Innenstadt knallen Schüsse.
Thomas Mann macht sich an die Arbeit. Mit der Geschichte des Hamburger Ingenieurs Hans Castorp füllt er in den folgenden Jahren ein Blatt nach dem anderen, bis das Buch auf fast tausend Seiten anschwillt.
Denn wie viel hat er zu erzählen in diesen Zeiten des Umbruchs und der Unsicherheit! Da ist die Gestalt von Hans Castorps Großvater, einem Senator, der für die alte Welt der hanseatischen Kaufmannsrepubliken steht und den Fortschritt misstrauisch beäugt – ein urkonservativer Mann, dem sich der Enkel tief verbunden fühlt.
Die vielen politischen Morde und Umsturzversuche in den ersten Jahren der Weimarer Republik, die tödlichen Attentate auf Demokraten wie Matthias Erzberger und Walter Rathenau beschäftigen Mann sehr – und geben ihm wohl die Idee ein für die Figur des Jesuiten Naphta: einem düsteren Mann, der sich für jede totalitäre Ideologie begeistern kann, für den christlichen Gottesstaat ebenso wie für die Diktatur des Proletariats. In dem italienischen Aufklärer Settembrini findet Naphta einen scharfen Widerpart.
Mit seismographischem Gespür nimmt Thomas Mann noch viele weitere Themen in den Roman auf. Etwa die Zeit, die im Bewusstsein des Menschen so ganz anders gemessen wird als auf den Blättern der Uhren. Technische Innovationen wie Röntgengeräte, bewegte Kinobilder und Grammofone. Philosophie, Musik, Biologie und Medizin, all das fließt in einem intellektuellen Kraftakt zusammen.
Fünf Jahre nachdem sich Thomas Mann stark verschnupft an den Schreibtisch gesetzt hat, verfasst er die letzte Zeile des Romans. 1924 – vor genau hundert Jahren – erscheint „Der Zauberberg“ und verkauft sich so gut, dass wenige Jahre später bereits die 100. Auflage gedruckt wird.
Heute gilt „Der Zauberberg“ als eines der bedeutendsten Bücher deutscher Sprache. Zum hundertsten Geburtstag des Werks lädt das Buddenbrookhaus Sie vom 14.9.2024 bis 31.8.2025 zur großen Ausstellung „Thomas Manns Der Zauberberg – Fiebertraum und Höhenrausch“ im St. Annen-Museum ein. Wer den Zauberberg erklimmen möchte, findet auf dieser Webseite viele interessante und spannende Informationen, die den Aufstieg erleichtern.